»für heute« - Ausgaben im Dezember 2016

Völlig versiebt!
(Martin Wörz)

Heute kommt Anette. Endlich! Tobias freut sich wie ein Schneekönig, dass seine Freundin nach zwei Wochen Trennung das ganze Wochenende bei ihm sein wird. Ihr Zug kommt um 17.48 Uhr an. Seine Wohnung hat er geputzt, das Auto steht vollgetankt an der Straße. Er wirft einen Blick auf sein Handy und beginnt, sich mit seinen Freunden auszutauschen. Eigentlich belanglose Sachen, aber eben nett. Plötzlich fährt Tobias hoch. Mist! In einer halben Stunde kommt Anette an und er braucht mindestens so lange bis zum Bahnhof. Er rennt zum Auto, fährt sofort los. Schon wenige Kilometer später wird er ausgebremst. Stau. Das Wort mit »Sch« fährt ihm über die Lippen.

Tobias hat einen Fehler gemacht. Die Fakten sind eindeutig. Und ihm ist klar: das hätte nicht passieren dürfen. Nicht schon wieder. Durch seine Unachtsamkeit hat er das Versprechen seiner Freundin gegenüber gebrochen. Wenn er nur die Uhr im Blick gehabt hätte. Wenn er nur ausreichend Zeitpuffer eingeplant hätte. Wenn er nur rechtzeitig losgefahren wäre. Tobias kommt das Zitat eines Politikers in den Sinn: »Hätte, hätte, Fahrradkette.« Nun ist nichts mehr zu ändern. Die Zeit lässt sich bekanntlich nicht zurückdrehen. – Wie soll er jetzt seiner Freundin begegnen?

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Ich liebe dich
(Katrin Schneidenbach)

Im vergangenen Spätherbst, kurz vor dem Advent, stand es in riesigen, gelb leuchtenden Buchstaben quer über die Landstraße geschrieben: »Ich liebe dich, mein Abendstern«. Immer wenn ich von unserem Ort ins Nachbardorf gefahren bin, habe ich nach diesem Liebesgruß Ausschau gehalten. Er hielt sich lange. Trotz Schnee und Regen war er bis weit ins Frühjahr hinein zu lesen.

Ich musste immer wieder Schmunzeln und begann dabei zu träumen: Wer schreibt heute solche Botschaften? Ein jung verliebtes Paar, die in getrennten Orten wohnen? Dabei soll sie auf der Fahrt schon lesen, wie der Liebste hofft, wartet und sich freut. Sie soll wissen, sein Herz gehört nur ihr. Oder ist es ein lang verheiratetes Paar? Nach einem Streit ging sie mit den Kindern weg. Mit der Liebesbotschaft auf der Straße bittet er um Vergebung. Seine Worte erzählen davon, wie sehr er sich wünscht, dass sie wieder zusammenkommen. Oder ist es ein Paar, das sich weder bei ihrer, noch bei seiner Familie treffen kann? Die Familien haben etwas gegen dieses Glück. So sind heimliche Begegnungen und Botschaften auf der Straße Zeichen ihrer Liebe. Doch solch ein Romeo und Julia-Geschick passt kaum noch in unsere Zeit. Vielleicht sind die Worte einfach im Überschwang geschrieben, weil die Liebe sich mitteilen will. Am liebsten aller Welt - zumindest der Welt, die diese Straße befährt.

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O Heiland, reiß...
(Anja Kieser)

Da wird aufgerissen, ausgegossen, ausgeschlagen; da wird Gott nicht lieb und höflich gebeten, da wird gefordert: Komm und rette diese Welt. Keine leisen Töne, kein süßlicher Adventsgesang dringt da ans Ohr. Und das ist gut so, denn so werde auch ich herausgerissen aus dem alljährlichen Adventsalltag.

Auch wenn mir die süßlichen Lieder auf den Adventsmärkten und in den Kaufhäusern in diesen Tagen auf die Nerven gehen, die echten, die guten, die alten Advents- und Weihnachtslieder, derer werde ich nicht überdrüssig. So singe ich in jedem Jahr immer wieder gerne das Lied von Friedrich Spee aus dem 17. Jahrhundert »O Heiland reiß die Himmel auf«. Was für ein Klassiker! Was für eine Dynamik! Was für eine Kraft und was für eine Haltung verbirgt sich in diesem Lied! Da wird aufgerissen – ausgegossen – ausgeschlagen – da wird mit Inbrunst Gott aufgefordert, in diese Welt zu kommen, das Elend zu beenden, Licht ins Dunkel zu bringen. In diesem Lied stecken Klage und Begeisterung.

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Unangemeldeter Besuch
(Rouven Bürkle)

Gerade habe ich mir die schlabberigste Jogginghose übergestreift, die ich im Kleiderschrank finden konnte. Mit der TV-Fernbedienung bewaffnet, lasse ich mich aufs Sofa fallen; bereit fürs Extrem-Couchening. Da klingelt es! Meine Frau geht zur Tür. Ich höre Stimmen, die lauter werden. Au weia! Unangemeldeter Besuch.

So habe ich mir den Abend nicht vorgestellt. Jetzt muss es schnell gehen. Wenn meine Frau die Hinhaltetaktik beherrscht, bleiben mir etwa fünfundzwanzig Sekunden. Kissen auf dem Sofa schön hinlegen, die Schuhe im Flur ordentlich hinstellen, den Tisch frei räumen und eine ordentliche Hose anziehen. Mehr geht nicht. Manche Menschen bereiten sich auf unangemeldeten Besuch vor. Im Internet gibt es zahlreiche Anleitungen nach dem Motto: »Keine Panik! Was sie immer im Haus haben sollten.« Allerdings würde mich eine solche Liste stressen. Und die Peinlichkeit meiner Schlabberhose bliebe mir damit auch nicht erspart. Wenn Besucher unangemeldet hereinschneien, ist das immer mit etwas Aufregung verbunden.

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